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Dem Unterausschuss zur Situation des Mapuche-Volkes vorgelegtes Dokument

Kommission für Menschenrechte
Unterausschuss zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte
57. Sitzung
2. Tagesthema
25. Juli – 12. August 2005

Dem Unterausschuss von Incomindios (Internationales Komitee für die indigenen Völker Amerikas) vorgelegtes Dokument

Menschenrechtssituation und grundlegende Freiheiten des Mapuche-Volkes.

Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Mitglieder des Unterausschusses,
sehr geehrte Damen und Herren.

Die Verletzung der grundlegenden individuellen und gemeinschaftlichen Freiheiten und Menschenrech t e des Mapuche - Volkes hat in diversen nicht staatlichen Organisationen wiederholt Besorgnis hervorgerufen . In der Tat haben in den letzten Jahren einige von ihnen im Wallmapu (Mapuche-Territorium) Untersuchungen in Bezug auf die Verletzung grundlegender, international garantierter Rechte vorgenommen, um den anhaltenden Klagen von Mapuche-Organisationen und -Gemein d en nachzugehen.

Amnest y International, die Internationale Föderation der Menschenrechts-Ligen, Human Rights Watch und die Internationale Organisation gegen Folter bekunden in diversen Berichte n ihre Sorge und/oder geben der chilenischen Regierung Empfehlungen in Bezug auf den so genannte n „Mapuche - Konflikt“. In diesem Zusammenhang sprach d er Sonderberichterstatter für die Grundlegenden Rechte und Freiheiten der Indigenen Bevölkerung der UNO-Kommission für Menschenrechte, Herr Rodolfo Stavenhagen, spezifische Empfehlungen aus, nachdem er während seines Besuches in Chile im Juli 2003 die dramatische Situation, in der sich Mapuche-Gemeinden und deren Führer befinden, vor Ort beobachtet hatte.

In einem an die chilenische Regierung gerichteten Brief vom 19. Juli dieses Jahres hat Herr Stavenhagen zum wiederholten Male seine Be sorgnis zum Ausdruck gebracht, was die „ unverhältnismäßig harten Urteile anbetrifft, die den traditionellen Autoritäten (Lonkos Pascual Pichun und Aniceto Norin) auferlegt werden sollen , in Anbetracht der Taten, die man ihnen laut dem derzeit geltenden Strafgesetzbuch an lastet“. Er weist auch darauf hin, dass sowohl die existierende Kluft zwischen den juristischen Tatsachen und den Urteilen als auch die Anwendung von Gesetzen zum Kampf gegen den Terrorismus im Rahmen des Mapuche - Konfliktes als „Akt der Verfolgung der landesweiten sozialen Bewegung der Mapuche “ interpretiert werden könnten. Die von Herrn Stavenhagen erwähnten Mapuche-Autoritäten wurden am 22. Juli dieses Jahres zum zweiten Mal durch ein chilenisches Gericht für unschuldig befunden, doch, wie so oft in solchen Fällen, sitzen die Freigesprochenen noch immer im Gefängnis.

Die chilenische Regierung ignoriert die internationale Besorgnis und ist weit davon entfernt, eine angemessene politische Lösung für die Forderungen der Mapuche-Gemeinden anzustreben. Stattdessen hat sie mit Unterdrückung sowie der Anwendung repressiver Gesetze aus der Zeit der Diktatur von General Pinochet geantwortet.

Am fragwürdigsten ist die Anwendung von Antiterrorismusgesetzen gegen Mapuche-Leitfiguren und -Autoritäten durch die chilenische Regierung. Solche Gesetze können bei Straftaten gegen Personen angewendet werden, wie es in den internationalen Ab kommen vorgesehen ist. Im Falle Chiles aber werden sie zur Bestrafung von Protestaktionen des Mapuche-Volkes verwendet, selbst wenn es sich nur um einfache Versammlungen handelt . Den Mapuche wird damit ihr fundamentale s Recht auf Versammlungsfreiheit abgesprochen.

Diese Tatsachen beweisen, dass sich hinter der Fassade der Legalität die Verletzung der Menschenrechte des Mapuche-Volkes verbirgt, widergespiegelt in dem klaren Machtmissbrauch der chilenische n Polizei, die nicht davon ablässt, die Mapuche physisch und psychisch einzuschüchtern, Kinder, Mütter und Alte inbegriffen. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, möchte ich die Situation kurz bildlich darstellen, um die Verfolgung und juristischen Tricks gegen die Leitfiguren der Mapuche bloßzulegen. Hier einige Beispiele:

1. José Nahuelpi und Lorenzo Nahuelpi aus der Gemeinde Pantano in Traiguen wurden am 3. Februar auf Befehl von Staatsanwalt Sergio Moya von einem Kontingent von zirka 80 Uniformierten verhaftet. Die Polizei teilte ihnen weder die Gründe für ihre Verhaftung mit noch wies sie einen Haft befehl vor. Sie beiden Männer wurden zur Polizeidienststelle von Traiguen ge bracht und dort zirka 24 Stunden ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Die Polizisten, die sie festnahmen, agierten mit extremer Gewalt, Bedrohungen und rassistischen Beschimpfungen. Lorenzo Nahuelpi wurde m isshandelt und vor den Augen seiner Familie, seine r Eltern und seine r drei Kinder mit einer Waffe bedroht, die man ihm an die Schläfe hielt. Erst am nächsten Tag wurde ihnen während der Anhörung mitgeteilt , dass sie wegen des Diebstahls eines Fahrrads verhaftet worden war en, ein er Tat, d ie sechs Monate zuvor begangen worden war und mit de r die Angeklagten nichts zu tun hatten. Trotz fehlender Beweise eröffnete das Gericht ein Verfahren gegen sie und behielt sie in Untersuchungshaft. Der Machtmissbrauch durch die Polizei ist offensichtlich und der unverhältnismäßig große Polizeieinsatz ist ein klarer Akt der Einschüchterung gegen die Mapuche-Gemeinschaft en.

2. Am 26. März dieses Jahres wurde der Lonko José Regle Calhueque aus der Gemeinschaft Cano Antinao von drei Individuen mit ver mumm ten Gesichtern überfallen. Die Angreifer spritzten ihm eine unbekannte Substanz in die Brust, die eine vorübergehende Lähmung seines gesamten Körpers bewirkte. Sein Gesundheitszustand war so bedrohlich, dass er umgehend in das Krankenhaus der Stadt Temuco eingewiesen wurde. In seiner Rolle als Autorität der Gemeinschaft steht Herr Regle an der Spitze des Kampfes seiner Gemein de für die Wiedererlangung der durch lokale Großgrundbesitzer unrechtmäßig angeeigneten Ländereien. Eine von den Großgrundbesitzern gegründete paramilitärische Organisation waltet frei und ungestraft in dieser Region, um die Führer der Mapuche einzuschüchtern.

3. Der Mapuche-Journalist Pedro Cayuqueo wurde am 2. Juni dieses Jahres erneut unter der Beschuldigung, eine Geldstrafe nicht bezahlt zu haben, verhaftet. Diese Geldstrafe war nach einem Prozess verhängt worden, der sich über mehr als fünf Jahre hingezogen hatte, nachdem er 2003 für schuldig befunden und mit 61 Tagen Arrest bestraft worden war, weil er an einer Kundgebung für die Wiedererlangung von Ländereien im Gebiet Traiguen teilgenommen hatte . Seine Verhaftung geschah zu einer Zeit, als er sich auf die Teilnahme an einer Reihe von Konferenzen und Treffen zum Thema Menschenrechte in Kanada vorbereitete. Herr Cayuqueo ist ein sehr angesehener Exponent und Verteidiger der Rechte des Mapuche-Volkes und somit kritisch gegenüber der Indigenen Politik des chilenischen Staates. Die Umstände seiner Verhaftung lassen darauf schließen, dass der chilenische Staat die legalen Instrumente manipuliert und sie nach Belieben benutzt, um die Stimmen des Mapuche-Volkes zum Schweigen zu bringen.

4. Seit 1998 erleidet die angesehene Mapuche-Autorität, Lonko Juana Calfunao aus der Mapuche-Gemein de Juan Paillalef in der Gemeinde Cunco, immer wieder Angriffe von der chilenischen Polizei sowie von Individuen, mit denen ihre Gemein de in Rechtsstreitigkeiten um Landbesitz verwickelt ist. Am 22 Juli 2005 wurde sie Opfer einer erneuten Brandstiftung, die ihr bescheidenes Heim in Schutt und Asche legte. Dies war die dritte Brandstiftung und nach unserer Ansicht ein Einschüchterungsversuch mit dem Ziel, sie davon abzubringen, für die Rechte ihrer Gemeinde und ihres Volkes zu kämpfen. In einem ähnlichen Attentat kam im Juni 2004 der Lonko Basilio Coñoenao aus der Gemeinde Juan Pichunlaf in den Flammen um, während er sich in Juanas Haus aufhielt. Die Lonko Calfunao wurde zahlreiche Male wegen diverser Vorwürfe verhaftet und auch von Unbekannten mit Feuerwaffen bedroht. Es gab auch einen Vorfall, bei dem Polizeibeamte brutale körperlich e Gewalt gegen sie ausübten, wodurch sie ihr ungeborenes Kind verlor. Danach wurde ihr noch von den beteiligten Polizeibeamten wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt der Prozess gemacht. Die Lonko Calfunao ist juristisch völlig wehrlos: Obwohl sie seit 1999 mehrere Gerichtverfahren gegen diese Kriminellen und Polizeibeamten angestrengt hat, sind die verantwortlichen Personen bisher von der chilenischen Justiz weder untersucht noch bestraft worden.

Herr Präsident, in vielen Fällen werden die inhaftierten Mapuche aufgrund von Gesetzen verurteilt, die in keinem Verhältnis zu ihren Vergehen stehen. Gleichzeitig wird durch die Anwendung solcher Gesetze die Rechtssicherheit der Angeklagten reduziert. Sie werden durch Tribunale und Richter ver urteilt , deren Unbefangenheit und Unabhängigkeit fragwürdig ist. So wurden zum Beispiel Gerichtsurteile aufgehoben, in denen die a ngeklagten Mapuche freigesprochen worden waren, oder Richter abgesetzt, die Urteile zu ihren Gunsten gefällt hatten. Dies ist von der Dachorganisation aller Mapuche-Organisationen und deren territorialer Identität en in einem an den chilenischen Präsidenten gerichteten Brief vom 10. Juni dieses Jahres dargelegt worden. Dies zeigt uns, Herr Präsident, dass die Aktionen des chilenischen Recht s staates keinen guten Ruf bei dem Mapuche-Volk genieß en und dass die Rechtsprechung in der chilenischen Demokratie ernsthaft in Frage gestellt ist.

Der territoriale Konflikt, der von den Menschenrechtsorganisationen in ihren Berichten erwähnt wird, existiert ununterbrochen, seit die Republiken Chile und Argentinien zwischen 1860 und 1885 das benachbarte Mapuche-Territorium (Wallmapu) mit Waffengewalt annektierten und den bewaffneten Widerstand der Mapuche mit Hilfe ihrer mächtigen und stark überlegene n Militär macht niederschlugen. Während der seit 120 Jahren andauernden Besatzung haben die Republiken Chile und Argentinien eine systematische Politik des Völkermordes und der kulturellen Assimilierung betrieben. Der Raub unserer Ländereien und Ressourcen hält an, was uns zur verheerendsten Armut verurteilt, die wir je in unserer Geschichte erlebt haben. Das demokratische Regierungssystem und der ökonomische Fortschritt Chiles haben die ökonomische und soziale Situation der Mapuche-Gemein den nicht ver bessert. Schließlich möchte ich Ihnen noch mitteilen, dass Chile weder das Recht des Mapuche-Volkes auf Selbstbestimmung anerkennt, noch die Existenz der Mapuche- Nation in seiner Verfassung erwähnt. Auch weigert es sich, Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (IOL) über indigene Völker zu ratifizieren.

Aufgrund der erwähnten Tatsachen rufen wir den Unterausschuss dazu auf, in Übereinstimmung mit seinem Mandat zu handeln und Druck auf die chilenische Regierung auszuüben, um der repressiven Politik gegen das Mapuche-Volk ein Ende zu setzen, die internationalen Abkommen zu ratifizieren sowie den weltweit anerkannten Menschenrechten Gültigkeit zu verschaffen.

Vielen Dank , Herr Vorsitzender.

Reynaldo Mariqueo
Generalsekretär
Mapuche Internationaler Link
Genf, 27. Juli 2005

Aus dem Englischen übersetzt von Tanja Gruber
Überarbeitet von Barbara Chambers und Bärbel A. Rautenberg


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