EINFÜHRUNG

Die Mapuche-Nation liegt geographisch auf der Südspitze Südamerikas, in einem Gebiet, das jetzt von den Staaten Chile und Argentinien besetzt ist. In Chile leben die Mapuche hauptsächlich in den Provinzen Bio-Bio, Arauco, Malleco, Cautin, Valdivia, Osorno, Llanquihue und Chiloe. Infolge des Bevölkerungswachstums und der damit verbundenen Überbevölkerung der indigenen Reservate lebt die Mehrheit des Mapuche-Volkes heutzutage in den Großstädten Santiago, Conceptión, Valparaíso, Temuco und Valdivia. In Argentinien leben die Mapuche in den Provinzen Buenos Aires, La Pampa, Neuquen, Rio Negro und Chubut. In Argentinien ist die Mapuche-Bevölkerung auf ungefähr 250.000 angewachsen. In der chilenischen Volkszählung von 1992, die vom Nationalen Statistischen Institut durchgeführt wurde, gaben ungefähr eine Million Menschen an, Mapuche zu sein.

Die Mapuche-Nation liegt in dem historisch von den Vorfahren der Mapuche bewohnten Gebiet, dem Wall Mapu: Wall bedeutet ‘Universum’ und Mapu bedeutet ‘Land/Territorium’. Die Gebietseinheiten der Mapuche folgen geographischen Gegebenheiten und tragen die folgenden Namen:

  • Puel mapu, die östlichen Gebiete, (Pampa und Patagonia von Argentinien), die von den Puelche bewohnt werden

  • Pikun mapu, die nördlichen Gebiete, in denen die Pikunche leben

  • Willi mapu, die südliche Gebiete, bewohnt von den Williche

  • Pewen mapu, das mit Schuppentannen (araucaria imbricata) bewachsene Gebiet, in dem die Pewenche wohnen

  • Lafken mapu, das Gebiet am Meer, das von den Lafkenche bewohnt wird

  • Nag mapu, die Tiefebene, wo die Nagche wohnen,

  • Wente mapu, das von Tälern durchzogene Gebiet, in dem die Wenteche zu Hause sind

Ihrer gebietsmäßigen Herkunft folgend, nennen sich die Mapuche:

  • Puelche: Leute aus dem Osten

  • Pikunche: Leute aus dem Norden

  • Williche: Leute aus dem Süden

  • Pewenche: Leute aus den Gebieten, wo die Schuppentannen wachsen

  • Lafkenche: Leute vom Meer

  • Nagche: Leute aus der Tiefebene

  • Wenteche: Leute aus den Tälern

Die von den Mapuche entwickelte traditionelle politische Struktur folgt den Gebietseinheiten. Politisch ist die Mapuche-Nation in vier geographische Regionen oder Meli wixan mapu aufgeteilt. Jede wixan mapu enthält ‘aylla rewe’ (acht Bezirke), die jeweils in mehrere Gemeinden aufgeteilt sind, die ‘lof’ genannt werden.

Oberhaupt der ‘lof‘ oder Gemeinde ist eine oder ein ‘lonko‘. Dies ist die/der Vorsitzende der Gruppe von Autoritätspersonen, die traditionell für die Geschicke der Gemeinde verantwortlich sind. Diese Gruppe von Autoritätspersonen besteht aus:

  • der/dem Machi (geistliche/r Ratgeber/in oder Ärztin/Arzt) – etwa 95% aller Machis sind Frauen

  • der/dem Werrken (der/die Sprecher/in, Botschafter/in oder Bote/Botin)

  • dem/der Ngenpin (der/die Verantwortliche für Finanzen, Zeremonienmeister/in und Geschichtswissenschaftler/in)

  • dem/der Nidol (Lehrer/in von Gesetzen und Verhaltensregeln)

Alle Mitglieder des Meli wixan mapu sind verantwortlich für die Aufrechterhaltung von rechtlichen Entscheidungen, die von den Ad mapu getroffen worden sind, sowie von Regeln, die ihr Verhalten und ihre Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde regulieren und Fehltritte bestrafen.

Trotz der Assimilierungsbestrebungen der dominanten chilenischen Gesellschaft hat das Volk der Mapuche es geschafft, seine überlieferte Sprache (Mapudungun), seine Religion und die sozio-politische Struktur zu erhalten, die das Leben in den indigenen Reservaten reguliert, in denen sie seit Beginn des zwanzigsten Jahrhundert gezwungen sind zu leben. Ihre Identität als autonome Nation und ihre eigene Klarheit darüber, dass sie einer spezifischen kulturellen, historischen und religiösen Tradition angehören, hat die Entwicklung einer sozio-politischen Bewegung herbeigeführt, die ihren Ursprung im Gemeinschaftsdenken hat.

Am 6.Januar 1641 unterzeichneten die Mapuche-Nation und das spanische Weltreich einen Vertrag, der als „Vertrag von Killin" bekannt ist. In diesem Vertrag erkannte das spanische Königshaus die gebietsmäßige Autonomie der Mapuche- Nation an. Von diesem Zeitpunkt an wurde über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrhunderten der Bio-Bio Fluß als natürliche Grenze respektiert und das Land südlich dieser Grenze als das Territorium der Mapuche-Nation angesehen. Der letzteren wurde volles Recht auf Selbstbestimmung zugestanden.

Dieses Ereignis, zu dem es keine Parallele in der Geschichte indigener Bevölkerungen in Südamerika gibt, resultierte aus der Unfähigkeit des spanischen Königshauses die Mapuche militärisch zu schlagen. Die Unterzeichnung des Vertrages von Killin und 28 weiterer Verträge, die mit der Nation der Mapuche in zwei Jahrhunderten diplomatischer Beziehungen geschlossen worden sind, läßt die Mapuche aus der Geschichte indigener Bevölkerungen herausragen. Das erklärt sich daraus, dass die Mapuche die erste und einzige indigene Nation auf dem südamerikanischen Kontinent sind, deren Souveränität und Autonomie legal anerkannt wurde.

Zwischen 1860 und 1885 wurden als Resultat eines gemeinsamen Kriegsfeldzuges an der Südspitze Südamerikas, der unter dem Namen "Befriedigung Araucaniens" in Chile und "Eroberung der Wüste" in Argentinien bekannt ist, rund 100 000 Mapuche auf äußerst grausame Weise umgebracht. Außerdem ist auch zu bedenken, dass die Staaten von Argentinien und Chile - in einem nicht erklärten Krieg - unbehindert internationale Gesetze auf krasse Weise gebrochen haben, indem sie eine international anerkannte Grenze nicht respektierten. Die damit zusammenhängende militärische Besetzung von Mapuche-Land und die Deportation von Einwohnern in indigene Reservate sind ein weiterer Beweis für Verbrechen, die eine krasse Verletzung internationalen Rechts darstellen.

Die Beschlagnahme von Land und die Zwangsverschleppung in indigene Reservate von Mapuche, die den Krieg überlebt hatten, wurde von den Staaten Chile und Argentinien mit der klaren Absicht durchgeführt, die Mapuche sowohl physisch als auch kulturell auszumerzen. Jahrzehntelang wurden tausende von Mapuche aus ihrer Heimat verbannt und ihre traditionellen Autoritätspersonen verfolgt.

Leider gilt weiterhin, trotz der Rückkehr zur Demokratie in Chile und Argentinien Anfang der neunziger Jahre, dass sich an der Situation der Mapuche sehr wenig geändert hat.

Heutzutage sind die Mapuche in beiden Ländern ein Volk, das sozial und politisch unter den Auswirkungen von Repressionen und einer Politik der zwangsweisen Assimilierung leidet. Die Verletzung der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten der Mapuche zeigt, dass die Rassenvernichtungspolitik, die von den Militärregimes systematisch gegen die indigenen Bevölkerungsgruppen angewendet wird, bis auf den heutigen Tag weitergeht. Regierungen weigern sich nachdrücklich, die Rechtsgültigkeit der internationalen Abkommen zur Förderung und zum Schutz indigener Bevölkerungsgruppen anzuerkennen. Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass der chilenische Staat diese internationalen Abkommen bisher nicht ratifiziert hat.

Trotz alledem nimmt die Bevölkerung der Mapuche-Nation weiterhin zu, wird stärker und setzt ihren Kampf mit mehr Vitalität als je zuvor fort. Dies ist auch von der Presse wiederholt unterstrichen worden. Die Mapuche hören nicht auf, Respekt für ihre Rechte als Volk, die Zurückgabe ihres Landes und für Gerechtigkeit und Freiheit zu verlangen.

Autoren:
Reynaldo Mariqueo und
Jorge Calbucura

22. September 2002

Übersetzung aus dem Englischen:
Barbara Chambers

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