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Chile: Mapuche wegen „Terrorismus“ verurteilt

Human Rights Watch- Washington D.C., 23. August 2004

Die kürzliche Verurteilung von vier Mapuche sowie einer ihrer Unterstützerinnen und ihre Beschuldigung als Terroristen sei eine stark übertriebene Reaktion auf die Unruhen in Südchile, stellten heute Human Rights Watch und das Programm für Indigene Rechte am Institut für Indigene Studien an der Universität La Frontiera [1] fest.

„Indem sie die härtest möglichen gerichtlichen Verfahren gegen die Mapuche anwendet, ordnet die chilenische Regierung die letzteren auf unfaire Weise in dieselbe Kategorie ein wie Massenmörder und ähnliche Verbrecher der schlimmsten Sorte“, sagt José Miguel Vivanco, der Geschäftsführer der Amerika-Abteilung von Human Rights Watch. „Es ist sehr zu bedauern, dass die Behörden die strafrechtliche Verfolgung von Mapuche als Terroristen zur Hauptstrategie gewählt haben, um die Unruhen im Süden in Schach zu halten.“

In einer diesbezüglichen Erklärung stellte der Innenminister, Jorge Correa, gestern fest: „Es wäre besser, wenn die Regierung diesen Triumph nicht zu bejubeln hätte.“ Er sagte, die Verhandlungen hätten zur Befriedung der südlichen Provinzen Chiles beigetragen, in denen es jahrelang zwischen den Mapuche-Gemeinden und Forstwirtschaftsgesellschaften sowie privaten Landbesitzern Streitigkeiten um Land gegeben habe. Er fügte hinzu, dass die Ausschaltung der für die Mapuche-Protestaktionen verantwortlichen Führungsspitze die Folge einer „erfolgreichen und systematischen geheimdienstlichen Kampagne unter dem Kodenamen „Operation Geduld “ gewesen sei.

„Die vom Staatssekretär abgegebenen Erklärungen offenbaren die Anstrengungen, die die Regierung und die Polizei in den letzten Jahren unternommen haben, um die Bewegung der Mapuche zu zerstören. Diese Bewegung wendet sich gegen die Aneignung des angestammten Landes der Mapuche und seiner natürlichen Ressourcen durch Firmen, die in Südchile investiert haben“, stellt Rosé Aylwin, Koordinator des Programms für Indigene Rechte am Institut für Indigene Studien an der Universität La Frontiera , fest.

Die fünf Angeklagten wurden am Sonntagabend wegen „terroristischer Brandstiftung“ zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem festgestellt worden war, dass sie für einen terroristischen Brandanschlag auf eine Fichtenplantage auf dem Landgut Poluco Pidenco nahe Ercilla verantwortlich seien, wobei es sich um Land handelt, das der Holzfällerfirma Mininco gehört. Alle Angeklagten sollen Mitglieder der Arauco Malleco-Koordinationsgruppe (CAM) sein. Dies ist eine Mapuche-Gruppe, die direkte Aktionen befürwortet, um umstrittenes Land wieder den Mapuche zuzuführen.

Seit 2002 werden Mitglieder dieser Organisation von der obersten Justizbehörde gerichtlich verfolgt, auf der Grundlage eines Anti-Terrorismus-Gesetzes, das unter dem ehemaligen Diktator Augusto Pinochet eingeführt wurde, um den Widerstand gegen seine Regierung einzudämmen. Dieses Gesetz wurde 1991 von der gewählten Regierung unter Präsident Patricio Alwyn abgeändert.

Danach fällt das Abbrennen von Feldern, Wäldern und Gebäuden unter „terroristische Aktivitäten“, wenn dies mit der Absicht verbunden ist, in der gesamten Bevölkerung oder auch nur in einzelnen Teilen derselben Angst zu verbreiten. In einem Fall, der die gerichtlichen Instanzen aller Voraussicht nach im Oktober erreichen wird, werden 18 Menschen, die angeblich Mitglieder von CAM sind, angeklagt, eine „illegale terroristische Vereinigung “ gegründet zu haben.

Die Mindeststrafe für terroristische Brandanschläge beträgt zehn Jahre Gefängnis. Das ist doppelt so lange wie die Strafe für „normale“ Brandstiftung. Die chilenische Verfassung legt fest, dass Individuen, die als Terroristen verurteilt worden sind, fünfzehn Jahre lang keine öffentlichen Ämter einnehmen, nicht als Lehrer arbeiten, keine verantwortlichen Positionen in Gewerkschaften oder im Geschäftsleben einnehmen oder als Journalisten arbeiten dürfen. Auch haben sie kein Recht auf Begnadigung durch den Präsidenten.

Das Gesetz ge steht der Staatsanwaltschaft das Recht zu, der Verteidigung Beweismaterial für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten vorzuenthalten und die Identität von Zeugen geheim zu halten. Die letzteren können ihre Aussagen hinter einer Schutzwand abgeben. Es wird erwartet, dass mehr als 40 „gesichtslose“ Zeugen ihre Aussage zu diesem Fall von „terroristischer Verbindung“ vor der Staatsanwaltschaft machen werden. Human Rights Watch ist besorgt, dass diese Gesetzesvorgaben die Möglichkeit en der Angeklagten einschränken werden, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurückzuweisen.

Es ist bisher niemand durch die „Gewalt“ umgekommen, die CAM zugeschrieben wird. Das einzige Opfer des Landkonfliktes ist ein 17jähriger Mapuche namens Alex Lemun, der mit CAM sympathisierte. Er wurde im November 2002 während eines Landprotestes von einem Polizisten erschossen. Während die Mapuche gerichtlich belangt wurden, brauchte sich der Polizist, der für diese Erschießung verantwortlich war, keiner strafrechtlichen Verfolgung durch das Militärtribunal zu stellen, als sich das letztere mit dem Fall beschäftigte.

Der Oberste Gerichtshof von Chile hat sich mit großem Nachdruck hinter diese anti-terroristischen Anklagen gestellt und Entscheidungen zu Gunsten der Angeklagten, die von niedrigeren juristischen Instanzen getroffen worden waren, aufgehoben. Im Juli 2003 hob er ein Gerichtsurteil auf, in dem drei Mapuche, die man der terroristischen Brandstiftung bezichtigte, freigesprochen worden waren. Zwei der Angeklagten wurden in einem zweiten Gerichtsverfahren wegen „terroristischer Bedrohung“ zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Im Falle von Poluco Pidenco vertrat die Richterin Nancy Germany die Ansicht, dass die Anwendung des Anti-Terrorismusgesetzes unzutreffend sei. Eine Kammer des Obersten Gerichtshofes jedoch befahl, den Terrorismusvorwurf wiederaufzunehmen und nahm der Richterin diesen Fall ab.

„Chiles Gesetzgeber müssen die Anti-Terrorismusgesetzgebung revidieren, um sicherzustellen, dass diese nicht wieder auf solch eine Art und Weise missbraucht wird, und um die nötigen Garantien für ein ordentliches Verfahren zu schaffen, bei dem die Rechte der Angeklagten voll respektiert werden“, meinte Vivanco.

Aylwin und Vivanco appellierten an den Präsidenten Ricardo Lagos, den Empfehlungen des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen bezüglich der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten indigener Völker zu folgen. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht drückte der Berichterstatter Besorgnis über die Kriminalisierung der Mapuche-Forderungen aus und appellierte an die Regierung, eine auf Verhandlung basierende Lösung für die Probleme im Süden des Landes zu finden, die auf Respekt für die Rechte indigener Völker basiere.

Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Chambers
Mapuche International Link
Überarbeitet von Bärbel Rautenberg

[1] In Temuco (die Übersetzerin)

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