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Gesundheitsvorsorge in der IX. Region aus interkultureller Perspektive

1. Einleitung

Gesundheit, Krankheit, Leiden und Tod gehören zu den universellen Erfahrungskategorien aller Menschen. Jedoch hat jede Kultur eigene Wege und Mittel im Umgang hiermit entwickelt. Von Herskovits (1948) wird Kultur als der vom Menschen gemachte Anteil der Umwelt definiert. Folglich existiert interkulturell eine große Variationsbreite auch in Bezug auf Konzepte von Gesundheit, Krankheit, deren Heilung und den dazu verwendeten Mitteln.

Die in der westlichen Welt etablierte naturwissenschaftlich-biomedizinische Ausrichtung ist nur eine von vielen Möglichkeiten im Umgang mit Krankheit. Es erscheint sinnvoll zu sein, medizinisches Wissen nicht losgelöst vom kulturellen Kontext zu betrachten. Interkulturelle Vergleiche und durch ethnomedizinische Forschung gewonnene Erkenntnisse können als intrakulturelle Bereicherung der jeweiligen medizintheoretischen Modelle und der medizinischen Praxis aufgefasst werden.

Richten wir den Blick nach Lateinamerika: In Chile wird in einem ländlichen Regionalkrankenhaus in der IX. Region interkulturelle Gesundheitspolitik gemäß der kulturellen Konstruktion von Gesundheit und Krankheit in Form eines integrativen Betreuungsansatzes praktiziert. Nachfolgend wird dieser Ansatz anhand der Publikationen von Dr. Jaime Ibacache Burgos - technischer Direktor des Krankenhauses - referiert.

II. Skizzierung der Ausgangssituation

Wie in den meisten lateinamerikanischen Ländern ist die soziokulturelle Realität in Chile multiethnisch. Sie wird größtenteils durch die hispanische Gruppe und in geringerem Maße durch die Gruppe der Ureinwohner, der Aymara, Quechua, Atacameña, Rapa Nui, Coya, Mapuche, Kawaskar gebildet. Sie unterscheiden sich alle soziokulturell bzgl. ihrer Kosmovision, Lebensweise, Sprache und in den individuellen Formen des Verstehens, der Inangriffnahme von Gesundheits- und Krankheitsproblemen und der Entwicklung. Diese Gruppen der Ureinwohner koexistieren innerhalb des Nationalterritoriums seit des hispano indígenen Kontaktes der hispanischen Gruppe untergeordnet und insbesondere seit der Konsolidierung des Staates Chile im 19. Jahrhundert.

Im Gesundheitsbereich spiegelt sich diese Gewichtung in der Existenz dominierender und anerkannter Gesundheitskonzepte wider, denen die Konzepte von Entwicklung und Gesundheit der Ureinwohner gegenüberstehen. Zur Subordinierung der indigenen Kulturen kommt folgendes hinzu: das Fehlen wohlwollender Politik, kulturelle Anpassung und die Implementierung exogener Entwicklungsmodelle, die eine Homogenisierung der Kulturen und in den letzten Jahren eine schnelle Globalisierung hegonomischen Wissens mit sich bringen.

Auf dem Hintergrund dieser Situation zeigen sich große Defizite in den
Lebens- und Gesundheitsbedingungen der indigenen Bevölkerung ,im Vergleich mit dem Rest der Bevölkerung der globalen Gesellschaft. Wenn man z.B. einen klassischen Indikator wie die Kindersterblichkeit heranzieht, plaziert sich Chile im Kontext von Entwicklungsländern (> 20 pro 1000 lebend geborener Neugeborener). Allerdings verdoppelt sich die Zahl in den indigenen Gebieten. Die gleiche Situation zeigt sich bei anderen Erkrankungen wie Tuberkulose, Bronchiopneumonie, Hepatitis usw.

Im Folgenden werden grundsätzliche Aspekte von Gesundheit und Krankheit im interkulturellen Kontext dargestellt.

1. Gesundheit und Krankheit

In der Einleitung wurde bereits erwähnt, dass Gesundheit und Kultur Gegenseitigkeit implizieren. Konzepte von Gesundheit und Krankheit verweisen auf die jeweilige Kultur und die jeweilige Kultur verweist auf Konzepte von Gesundheit und Krankheit.

In der Kultur der Mapuche existiert eine vollständige Übereinstimmung zwischen den Menschen, der Umwelt und den übernatürlichen Geschöpfen, die die Macht besitzen, über die beiden ersten bestimmen zu können. Aus dieser holistischen Konzeption der Welt wird das medizinische Modell entwickelt. Somit stellt Krankheit einen doppelten Aspekt dar: Zweck und Moral. Die Ursache von Krankheit wird niemals allein in den Bereichen von Ethik und Moral gesucht, sondern Krankheit wird als ein Produkt von Ungleichgewicht oder Übertretung aufgefasst. Sie wird nicht nur auf das Individuum bezogen betrachtet, sondern in Beziehung zu der familiären Gruppe und in letzter Instanz der Gemeinde gesetzt.

2. Entwicklung

Kulturspezifität bezieht sich nicht nur auf Gesundheit und Krankheit, sondern auch auf die Entwicklung dieser. Innerhalb der Kultur der Mapuche wird Entwicklung einerseits konzipiert als die Einhaltung einer Bestimmung, die schon seit der Geburt des Kindes determiniert ist und die auch Teil der familiären Bestimmung (Rukache) ist.

Andererseits konzipiert man Entwicklung als Haltung/Einstellung, die der Zukunft nicht schadet, die Gegenwart nicht zerstört und darüber hinaus mit konstantem Lernen einher geht. Dieses Entwicklungskonzept gibt Aufschluß über den Respekt vor dem menschlichen Sein und der Natur, den höheren Wesen und den Kräften/Mächten des Guten und Bösen, die die Welt der Indígenas bevölkern.

Ein weiterer wichtiger Entwicklungsaspekt (Kelluwam) ist für die Mapuche die Stärkung der mündlichen Überlieferungen durch Vorfahren und die GreisInnen der Gemeinde und die Weitergabe dieses Wissens an Jugendliche. Ziel ist es dabei, eine Entwicklung zur Stärkung der kulturellen Identität zu erreichen, um kulturelle Kontrolle auszuüben und darüber hinaus die Elemente anderer Kulturen zu adaptieren, die "tauglich" erscheinen.

3. Gleichheit/Gleichwertigkeit

In einem interkulturellen Kontext ist es wichtig, als erstes nach der Gleichheit/Gleichwertigkeit der Ureinwohner zu fragen, da ansonsten der Erfolg von Untersuchungen bzw. dessen Ergebnisse zweifelhaft ist. Aus interkultureller Perspektive erscheint es nicht möglich zu sein, das Konzept der Gleichheit/Gleichwertigkeit von dem der Gesundheit und der Entwicklung zu trennen. Alle drei ergänzen sich und synergieren, sind Teile eines Ganzen, welches das Gleichgewicht darstellt.

In der Kultur der Mapuche werden die drei zuvor genannten Konzepte durch den Terminus "Küme Mongñen" ausgedrückt. Dieser verweist auf das Konzept des Gleichgewichtes zwischen der Person, der Natur und dem Übernatürlichen. Offenbar ist dieses Gleichgewicht dynamisch, da es das Resultat gegensätzlicher komplementärer Bedürfnisse ist, die die Kulturen der Ureinwohner bestimmen. Aus epidemiologischer Sicht kann diese Gleichgewichtskonzeption bzw. "Küme Mongñen" kritisch betrachtet werden, da Gleichgewicht das Resultat vielfältiger markanter Aggressoren und Protektoren ist, die ihrerseits die Lebensqualität einer menschlichen Gruppe determinieren. Die komplexe Interaktion zwischen (zer)störenden und schützenden Faktoren erfordert die Konzeption von Betreuungs- und Entwicklungsmodellen, die der Realität angemessen sind. Darüber hinaus müssen sie sowohl die unterschiedlichen Zugangsweisen der Gesundheitsdienste berücksichtigen als auch die verschiedenen Epidemiologien und Soziokulturen, besonders in indigenen Gebieten, wo sich die größten Bedürfnisse und markantesten Risiken konzentrieren.

In diesem (Gleichwertigkeits-)Kontext - zu verstehen als Brennpunkt der Gesundheitsbetreuung - ist nicht nur die Neugestaltung der Versorgung, die Dezentralisierung und Offenheit bzgl. der Partizipation der Gemeinde, angezeigt. Vielmehr ist darüber hinaus von Bedeutung, die kulturelle Verschiedenheit zu akzeptieren und die unterschiedlichen Bedürfnisse und Beiträge der verschiedenen Kulturen zu identifizieren.

4. Interkulturalität

Der Begriff "interkulturell" betrifft immer die Relation von mindestens zwei Kulturen. Ein Vorschlag bzgl. interkultureller Gesundheit bezieht sich programmatisch auf ein Gesundheitsbetreuungsmodell zwischen zwei Kulturen, die in einem geographischen und klinischen Raum koexistieren. Interkulturalität bzgl. Gesundheit kann man sich vorstellen als die Fähigkeit, sich gleichgewichtig zwischen Kenntnissen, Glauben und den Praktiken hinsichtlich kultureller Differenzen bei Gesundheit und Krankheit, des Lebens und des Todes, des biologischen Körpers zu bewegen, sozial und relational. Dieses sind Wahrnehmungen, die manchmal innerhalb der verschiedenen Kulturen widersprüchlich sein können. Die Entwicklung von interkultureller Gesundheitpolitik erscheint dringend erforderlich, da kein medizinisches System geeignet ist, um allen Gesundheitsanforderungen der Bevölkerung gerecht zu werden. Die Biomedizin (i.S. von klassisch-naturwissenschaftlicher Medizin d.V.) macht hier keine Ausnahme. Folglich kann die traditionelle Medizin eine gültige Alternative für die Wiederherstellung des Gleichgewichtes darstellen, da ihr holistisches Konzept vom Gesundheits- Krankheitsprozeß offenbar genau das ist, was der westlichen Medizin fehlt. Darüber hinaus müßte interkulturelle Gesundheit einen Prozeß der Aufwertung und Neubelebung der traditionellen indigenen medizinischen Kultur favorisieren (holistisches und relationales Modell) und ebenso der Biomdizin (biopsychosoziales und multikausales Modell).

Man müßte gleichzeitig eine harmonische Form des Zusammenlebens begünstigen, die wechselseitig Werte und kulturelles Wissen verschiedenen Ursprungs ohne Abspaltung des eigenen beinhaltet. Entwicklung aus dieser interkulturellen Perspektive müßte verstanden werden als das Erlangen einer kulturellen Identität, die gemeinsame Elemente zwischen den Kulturen potenziert und Verschiedenheit respektiert.

III. Schlussfolgerungen für den Gesundheitsfaktor

Unter Berücksichtigung aller oben erwähnten Aspekte scheinen die Mitglieder eines Gesundheitsteams, die in interethischen Kontexten arbeiten, vor der großen Herausforderung zu stehen, Strategien, Modelle und Handlungswege zu entwickeln, die auf Entwicklung abzielen. Der Anstieg von Ungleichheit, die Verschlimmerung des Konsumverhaltens, die Zunahme risikofreudigen Verhaltens, die Aufrechterhaltung von Diskriminierung und die Ausbeutung der Umwelt sind u.a. Elemente zerstörerischer Aggression, mit denen der Gesundheitssektor unvermeidlich konfrontiert wird.

Um sich mit dem Konzept des Gleichgewichtes vertraut zu machen, erscheint die Entwicklung gleichwertiger Haltungen von zentraler Bedeutung zu sein. Damit ist z.B. gemeint, der Wille, Dinge zu hinterfragen; der Wunsch, Antworten zu suchen; fähig zu sein, Wissen zu teilen, von Menschen zu lernen, die die Realität verändern wollen, fähig zu sein, sich beeindrucken zu lassen durch Verschiedenheit, die Magie des Lebens, den Schmerz, von Schwierigkeiten, Ungerechtigkeiten , Ungleichheit, usw.

An zweiter Stelle steht die Entwicklung einer epidemiologischen Einstellung mit territorialem Focus, und zwar in sozialer und kultureller Hinsicht, bei der es darum geht, dass zur Lösung von Problemen sowohl die betroffenen Menschen als auch die entsprechenden Fachleute beitragen. Dieses bezieht sich auf eine partizipative Einstellung/Haltung, sich als Teil des Lebensraumes der Menschen, ihrer Gesundheitsstrategien und Entwicklung zu verstehen, um dort Kenntnisse zu erlangen und von den Kenntnissen und Bestrebungen der Gemeinden zu lernen.

In dieser Beziehung ist es erforderlich, Daten zu erlangen, um vom regionalen Durchschnitt in Richtung kommunale und lokale Realität zu gelangen, immer unter Berücksichtigung der kulturellen Besonderheiten der Gemeinden. Die Teams müßten sich befähigen, Basisberechnungen in Form eines "Epi-Info und einer "Epi-Map" vornehmen zu können; d.h. epidemiologische Daten systematisch zu berechnen und eine sogenannte epidemiologische Landkarte zu erstellen. Diese würde ihnen ermöglichen, multiple Variablen zu analysieren und die Befunde in "Talleres de Territorio y Realidad (regionalen Workshops) als gemeinsame Arbeitsgrundlage zu benutzen. Letzteres wird von echter Bedeutung sein für die Planung von partizipativen Vorgehensweisen/Aktivitäten, die den soziokulturellen Realitäten aus der Sicht des neu erzeugten Wissens angemessen sind, wie z.B. dem Konzept der Familie (Rukache).

Die Entwicklung einer epidemiologischem Haltung, ausgehend von den vorhandenen Daten, wird die erforderliche Quelle sein, um in Richtung der Entwicklung einer neuen Haltung für neues Wissen voranzukommen. Dieses setzt grundsätzlich eine differenzierte Art und Weise des sich Näherns an Realität durch das Erlangen von Kenntnissen und eine neue Kultur voraus, die kulturelle Verschiedenheit schätzt, potenziert unterstützt. Neues Wissen erscheint sowohl durch die Einbindung von westlichem Wissen als auch dem der Ureinwohner und durch Stärkung der Gemeinsamkeiten und Respekt vor der Verschiedenheit. Dieses neue Wissen wird die künftige Basis sein für Bildungs- und Erziehungsmaterial, von Lehrtätigkeit und Ausbildung, Analyse der klinischen- und der Lebensgeschichte und von einer neuen epidemiologischen Linie für die Gleichwertigkeit im interkulturellen Kontext. Die interkulturelle Epidemiologie ist das analytische Werkzeug, das ermöglicht, Ereignisse in Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit innerhalb verschiedener Kulturen zu vergleichen. Sie ist zu verstehen als Lernen des Auftretens von Erkrankungen in der Bevölkerung verschiedener Kulturen sowie das Lernen, kontextuell jeweils die kulturimmanenten Ätiologien und Kategorien mit einzubeziehen. Beispielsweise ergab die Erforschung der Kindersterblichkeit von Mapuchekindern, die jünger als 5 Jahre waren, durch respiratorische Erkrankungen über einen Zeitraum von einem Jahr, eine Steigerungstendenz zwischen den Monaten September und Januar.

Aus biomedizinischer Sicht folgert man, dass die Umweltrisikofaktoren in dieser Jahreszeit geringer sind. Jedoch nach Überdenken der zerstörerischen Aggression aus der Sicht der Mapuche, deren Leben sich in der Landwirtschaft und Subsistenzwirtschaft zentriert, beginnt im September die Mangelzeit, denn die Ernte des vorhergehenden Jahres ist aufgebraucht, auf dem Markt gibt es nichts zu verkaufen oder zu tauschen, und man verfügt noch nicht über die neue Ernte. Das bewirkt in der Folge bei den Kindern eine konditionelle Schwächung ihrer Widerstandskraft und macht sie anfälliger für Erkrankungen.

IV. Integratives Gesundheitsbetreuungsmodell des Krankenhauses Maquehue

Das "Hospital Rural de Maquehue" befindet sich im historischen Mapuchegebiet im Süden von Chile. Es wurde 1927 von Missionaren der anglikanischen Kirche gegründet und wird seit 1962 durch Subventionen des Gesundheitsministeriums unterhalten. Im Jahre 1999 wurde das Hospital durch die kommunale Organisation "Asociación Indígena para la salud Maquehue-Pelale" übernommen. Dieses war die logische Konsequenz des Prozesses der Partizipation und Selbstverwaltung der Gemeinde um den Fortbestand zu sichern. Das gesetzte Ziel der Vereinigung besteht in der Beteiligung an der Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung des Sektors durch die Implementierung eines interkulturellen Gesundheitsmodells. Dieses bedeutet, die lokalen Ressourcen zu stärken, verschiedene Konzepte von Krankheit und Gesundheit zu respektieren und die Komplementarität mit der biomedizinischen Medizin zu forcieren. Besonders im Bereich der Gesundheit kommt die kulturelle Kontrolle durch die medizinischen Systeme zum Ausdruck, die in Reichweite der Gemeinden vorhanden sind. Das vorliegende interkulturelle Gesundheitsmodell wurde für die Bewohner des Sektors Maquehue, Pelale und ebenfalls für die Kommune Padre las Casas, sowie für die Bevölkerung der Kommunen von Temuco, Freire und Imperial geschaffen. Somit gilt das Behandlungsangebot für etwa 20000 Personen, von denen 80% Mapuche sind. Es wird in allen sogenannten Basisprogrammen - vom Kinderprogramm, Programm für ältere Erwachsene über das Rehabilitationsprogramm für Drogen- und Alkoholkonsum bis hin zum Programm zur Stärkung der kulturellen Identität der Mapuche - versucht, die Integration von Gesundheitskenntnissen der Mapuche-Spezialisten mit dem vorhandenen Wissen der Schulmedizin zu erreichen. Dieses interkulturelle Gesundheitsmodell wird im Rahmen eines allgemeinen Projektes der Bevölkerungsentwicklung durchgeführt und hat die Rückgewinnung der soziokulturellen Kontrolle durch die Mapuche zum Ziel.

Anhand der nachfolgend dargestellten Strategien ist Schritt für Schritt das integrative Gesundheitsbetreuungsmodell entwickelt worden.

1. Selbstverwaltung

Seit der Selbstverwaltung durch die "Asociación Indígena para la salud Maquehue-Pelale" im März 1999 umfaßt diese Vereinigung 35 Gemeinden des Sektors. Die Mehrheit ihrer Mitglieder sind Mapuche, die ein starkes Interesse haben, ihre kulturelle Identität zu stärken.

2. Der Rat der Weisen

Dieser Rat besteht aus Personen, die in der Mehrheit älter als 65 Jahre sind und die eine ausgeprägte kulturelle Mapuche-Identität haben. Sie beraten sowohl die Vereinigung als auch die technische Direktion derart, dass die soziale und kulturelle Realität dieser Region berücksichtigt wird.

3. Anpassung der Räumlichkeiten an die Bedürfnisse der Mapuche

Es wurden vorrangig die Räumlichkeiten des Hospitals (z.B. die Ambulanz) an die Mapuche-Realität mit folgenden Schritten angepasst:

  • Einführung von Hinweisschildern in Mapudungun und Spanisch

  • Herstellung von zweisprachigem Gesundheitsinformationsmaterial für die Warte-, Kranken- und Behandlungszimmer

  • Verbesserungen in den Wartezimmern bzgl. der Sitzplätze und der Heizung

  • Förderung der Konversation in Mapudungun in Wartezimmern und Verteilung von Lebensmitteln, wenn das Haushaltsbudget es erlaubt.

4. Koordination mit Mapuche- Spezialisten

Es finden regelmäßige Zusammentreffen mit den jeweiligen Spezialisten der Region statt mit dem Ziel, die verschiedenen therapeutischen Mittel, die im Hospital verordnet und zu Hause genommen werden, komplementär aufeinander abzustimmen. Die Mapuche-Spezialisten sind z.B.: Machi, (Schamanin der Mapuche), Ngutamchefe (componedores de huesos; Knochenheiler) Lawentuchefe (Kräuterheiler) u.a.

5. Einführung einer integrativen Apotheke/Pharmazie

In der Apotheke des Hospitals befinden sich klassische Medikamente neben Produkten aus Heilkräutern, die sowohl in der Region als auch im krankenhauseigenen Apothekergarten gesammelt wurden. Zudem wurde ein zweisprachiger Modus bei Abgabe der Heilmittel zum besseren Verständnis der Kranken und ihrer Familien entwickelt.

6. Betreuung mit integrativem Ansatz in der externen Poliklinik

Die grundlegende Absicht der Arbeit in diesem Bereich ist einerseits die Entwicklung eines integrativen Konzeptes der Mapuche-Denkweise, das Kenntnisse verschafft, um Gesundheitsprobleme der Personen, Familien und Gemeinden in Angriff zu nehmen. Diese Kenntnisse ermöglichen zudem eine Verbesserung der Beziehung des Gesundheitsteams zu den Kranken und ihren Familien sowie die Stärkung der häuslichen Medizin, die sinnvolle Nutzung der medizinischen Systeme und die Stärkung der Komplementarität der medizinischen Systeme. Andererseits ermöglicht ein solcher Ansatz die Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit in den Gemeinden, die verschiedenen therapeutischen Wege, die für die Patienten und ihre Familien gegangen werden, und darüber hinaus entstehen Kenntnisse, um die verschiedenen Haltungen gegenüber der Krankheit zu verstehen.

7. Die konkrete Arbeitsmethode

a. Anpassung des Betreuungsraumes mit folgenden Zielen:

  • respektvolle Haltung gegenüber der Erkrankung, Herstellen einer anderen Beziehung als der üblichen zwischen dem Kranken, seiner Begleitung und dem Arbeitsteam.

  • Ausrichtung des Krankenbettes mit dem Kopf in Richtung Osten

  • Möglichkeit der Begleitung des Patienten durch das Familienoberhaupt oder anderen Familienmitgliedern

  • keine Benutzung von weißen Kittel seitens der Ärzte

  • Anpassung des Diagnostik- und Erziehungsmaterials an die Realität der Mapuche

b. Betreuung der Kranken durch Ärzte mit Kenntnissen in der Kosmovision der Mapuche, der Taxonomie von Krankheiten aus der Sicht der Mapuche, in Mapudungun. Epidemiologie, anthropologischer Medizin und Gesundheitserziehung. Auch hier nimmt ein/eine Krankenpfleger/schwester teil, der/die Mapudungun spricht und Wissen über abendländische Medizin und Mapuche-Medizin hat.

c. Darstellung der konkreten Betreuung

Der Erstkontakt. Der Patient und seine Begleitung werden in Mapudungun begrüßt. Es wird Wert darauf gelegt, ihm zur Begrüßung die Hand zu geben. Nach der Aufforderung, Platz zu nehmen, beginnt der Arzt ein Gespräch über allgemeine Themen des alltäglichen Lebens und geht während des Gespräches dazu über, die Gründe der Konsultation in Alltagsprache unter Zuhilfenahme einiger Schlüsselwörter in Mapudungun zu erfragen.

Die Anamnese. Zu Beginn des Gespräches können der Kranke und seine Begleitung die Erkrankung aus ihrer Sicht schildern, die anschließend seitens des Arztes mittels bestimmter Anamnesefragen vertieft wird.

Die körperliche Untersuchung. Die körperliche Untersuchung wird so taktvoll wie möglich durchgeführt, wobei der Arzt immer sagt, warum er was tut. Mit Unterstützung des Kranken und seiner Familie werden die Körperteile und Organe, die untersucht werden, in Mapudungun benannt. Falls der Patient ein Gespräch unter vier Augen mit dem Arzt wünscht, müssen sowohl die Begleitpersonen als auch andere Mitglieder des Gesundheitsteams den Raum verlassen. Es ist von zentraler Bedeutung, die Privatsphäre und die Einstellung des Patienten zu respektieren. Es soll erreicht werden, dass der Patient sich in einer Umgebung, die vielfach in seiner Kultur fremd ist, so wohl wie möglich fühlt.

Therapeutische Indikation und Schlussfolgerungen. In Übereinstimmung mit der Anamnese und dem Befund der körperlichen Untersuchung wird mit dem Patienten und seiner Familie bzw. seiner Begleitung der therapeutische Weg abgestimmt. Diese Therapien erfolgen normalerweise in Form eines allgemeinen Rates über die Selbstbehandlung mit Heilkräutern, ergänzend zur medikamentösen Therapie. Da die Krankenhausapotheke sowohl klassische Medikamente als auch Produkte auf Heilkräuterbasis besitzt, ist eine gute Kommunikation über therapeutische Indikationen mit dem Patienten möglich. Falls es erforderlich ist, kann der Patient andere Ärzte und/oder Mapuche-Spezialisten aufsuchen. Zur Vermeidung von Komplikationen werden dem Patienten Ratschläge zur Identifkation von Symptomen und Alarmzeichen und weitere Gesundheitsinformationen in spanisch und Mapudungun übergeben.

Schlußfolgerungen aus Sicht der Mapuche-Medizin. Wenn die Übereinkunft mit dem Kranken und seiner Familie der Besuch eines Mapuche-Spezialisten ist, gibt es zwei Arten, diesen Weg zu unterstützen:

  • der Patient wendet sich selbst an einen ihm bereits bekannten Spezialisten bzw. an einen, zu dem ihm der Arzt rät

  • der Arzt und andere Mitglieder des Gesundheitsteams begleiten den Patienten und seine Begleitung zu einem Mapuche-Spezialisten. Dort erfolgt ein "Nütram", ein Gespräch über den Patienten zwischen dem Arzt und dem Mapuche-Spezialisten, um zu einer komplementären Therapievereinbarung und deren reglemäßiger Kontrolle zu gelangen.

Kontrolle und Compliance. Die Behandlungskontrollen kann der Patient in der Klinik durchführen lassen und im Falle eines Hausbesuches kann dieser allein durch das Team des Krankenhauses erfolgen oder auch gemeinsam mit einem Mapuche-Spezialisten

8. Das integrative Konzept in der stationäre Betreuung

Falls Kinder stationär behandelt werden müssen, werden sie gemeinsam mit ihrer Mutter oder einem nahen Verwandten aufgenommen. Das gleiche gilt für GreisInnen und Personen mit einer körperlichen Behinderung. Die Patienten können durchgehend 24 Stunden besucht werden. Das gilt auch für Besuche von Mapuche-Spezialisten und Geistlichen. Es erfolgt täglich eine Visite durch das Gesundheitsteam. Nach der Begrüßung in Mapudungun spricht man darüber, wie der Patient geschlafen hat, über seine Träume, über die Krankheit und gemeinsam mit den anwesenden Verwandten über die daraus gemachten Schlußfolgerungen und über die Prognose. Alle Patienten erhalten gemäß ihrer Erkrankung Kräutertees, Massagen/Einreibungen mit Kräutersalben, kinesiologische Ratschläge usw. Für mobilisisierungsfähige Patienen existieren Angebote in Kinestetik, und bettlägerige Patienten werden psychotherapeutisch betreut. Patienten zur Alkohol- bzw. Drogenrehabilitation nehmen an Verwaltungsarbeiten, an Besuchen in der Gemeinde teil, organisieren Zusammentreffen in der Gemeinde, konsultieren Mapuche-Spezialisten und nehmen an Gesprächen über Gesundheit und die Denkweise der Mapuche teil.

9. Qualifikation des Gesundheitsteams

Es finden fortlaufend Weiterbildungen über Gesundheitsthemen und die Mapuche-Denkweise sowie die Betrachtung der klinischen und stationären Fälle statt. Dazu kommen verschiedene Kurse für Studierende und Professionelle des Gesundheitswesens, und der Sozialwissenschaften, die ebenfalls für interessierte AusländerInnen angeboten werden. Hierbei geht es darum, den Kursteilnehmern eine umfassende Sicht der soziokulturellen Wirklichkeit der Mapuche zu vermitteln. In diesen Theorie/Praxiskursen werden Themen wie die Geschichte und die Kosmovision der Mapuche, medizinische Anthropologie, Mapuche-Medizin u.ä. besprochen. Darüber hinaus erfolgt ein Besuch bei Mapuche-Spezialisten, und es wird die Teilnahme an der Behandlung der Patienten ermöglicht.

10. Stärkung der kulturellen Identität der Mapuche und Mapuche-Medizin

Durch die "Asociación Indígena para la Salud Maquehue-Pelale" wird Gesundheitspolitik durchgeführt unter Einbeziehung der Stärkung der kulturellen Identität durch Projekte wie das hier beschriebene. Bisher wurde die Durchführung religiöser Zeremonien der Mapuche unterstützt, die Feier des Neujahrfestes der Mapuche (We Tripantu), die Totenfeiern (Eluwün) therapeutische und diagnostische Zeremonien, das Erlernen von Mapudungun und kulturelle und gesundheitsbezogene Arbeit mit den Schulen des Sektors. Ebenso wird in verschiedenen Bereichen Forschung unterstützt, die zur kulturellen Stärkung beiträgt.

Quellen: URL: http://www.xs-1all.nl~rehue/art/iba2.html
URL: http://www.soc.uu.se/mapuche
Herskovits, M.J. (1948) : Man and his works: The science of cultural anthropology. New York: Alfred A. Knopf

Übersetzung und Bearbeitung: Bernadette Reining und Claudio Fernandez

SOLIDARIDAD - Berichte und Analysen. 22. Jg, Nr. 214, 2001: 9-13

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