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Chile: 10 Jahre Gefängnis für Mapuche-Führer

von kh. - 11.01.2004


In der drastischsten Entscheidung, die bisher von einem chilenischen Gericht gegen einen Mapuche-Führer gefällt wurde, hat ein chilenisches Gericht (Penco?) Victor Ancalaf, den früheren Führer der Coordinadora Arauco-Malleco und gegenwärtigen Sprecher der Konfliktgemeinden von Collipulli als Urheber terroristischer Aktionen gegen das Unternehmen Endesa-España im Pehuenche-Gebiet von Alto Bio-Bio beschuldigt und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Verteidiger spricht von "offenkundiger politischer Verfolgung", während die Mapuche-Gemeinschaften Protestaktionen ankündigen.

Victor Ancalaf

von Kolektivo Lientur (Übersetzung)

Mapuche-Führer zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt
Nach über einem Jahr der Ermittlungen hat Richter Diego Simpértegui den früheren Führer der Coordinadora Arauco-Malleco, Victor Ancalaf, als alleinigen Verantwortlichen der Brandanschläge gegen Lkws der Gesellschaft Endesa-España, die bei den Bauarbeiten für das Wasserkraftwerk Ralco eingesetzt waren, verurteilt. Das berichtete heute nachmittag Radio Bio-Bio.

Der Verteidiger des anerkannten Mapuche-Führers, Rodrigo Calderón, informierte, er werde gegen den Beschluß der ersten Instanz am Gericht von Penco (?) Berufung einlegen und ließ durchblicken, er werde den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte der OAS anrufen, denn seiner Ansicht nach gibt es keine Beweise, die Ancalaf belasten, sondern lediglich Mutmaßungen, die im Laufe des Gerichtsverfahrens nicht ordnungsgemäß belegt werden konnten. "Dies ist ein politischer Akt mit dem Ziel, einen bedeutenden und angesehenen Teil der Mapuche-Bewegung führerlos zu machen. Hier handelt es sich um eine eindeutige und offenkundige politische Verfolgung," behauptete er.

Der Rechtsanwalt kritisierte, daß er infolge der Anwendung des Antiterrorismusgesetzes in diesem Fall ein Jahr lang keinerlei Einsicht in die Ermittlungsakten erhielt, um den Mapuche-Führer ordnungsgemäß verteidigen zu können. "Darüber hinaus erscheint es absurd," fügte er hinzu, "daß eine einzige Person ein Terrornetzwerk gebildet haben sollte, um im Zeitraum von sechs Monaten drei Anschläge in der Kordillere zu planen und auszuführen."

Mitglieder der im Konflikt befindlichen Gemeinschaften von Collipulli ließen vor wenigen Stunden in einer Erklärung verlauten, sie würden wegen der Gerichtsentscheidung, die sie als "rassistisch" bezeichnen, für die nächsten Tage den Beginn von Protestaktionen in Erwägung ziehen. "Wir als Mapuche-Gemeinschaften werden einen rassistischen und repressiven Urteilsspruch gegen unseren Werken (Sprecher) nicht anerkennen. Ab heute erklären wir uns im Alarmzustand und werden über Aktionen nachdenken, um seine Freiheit zu fordern und die Komplizenschaft der Regierung mit den Plänen der Firma Endesa auf unserem Territorium anzuprangern," heißt es in dem Text.

Ancalaf ist seit November 2002 in der Strafanstalt El Manzano in Concepción in Haft, zusammen mit den Führern der Coordinadora Arauco-Malleco, José Huenchunao und Héctor Llaitul, die mit weiteren Gerichtsverfahren vor Gerichtshöfen der 8. und 9. Region wegen "Bildung einer illegalen Vereinigung" zu rechnen haben. In Polizeikreisen wird angesichts der unmittelbar bevorstehenden Mobilisierungen der Gemeinschaften die Verstärkung des in der Provinz Malleco, dem Einflußbereich Ancalafs, stationierten Polizeikontingents in Erwägung gezogen.
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Zur Vorgeschichte:

Die Verurteilung Victor Ancalafs steht im Zusammenhang mit dem Bau des Wasserkraftwerks in Ralco (Prov. Bio-Bio) durch die spanische Firma Endesa. Seit 1999 war es zunehmend zu Protesten und Widerstandsaktionen der Mapuche-Pehuenche gegen den Bau den Staudammbau gekommen. Die chilenische Regierung hatte dem Bau des Wasserkraftwerks gegen den Willen der Pehuenche zugestimmt, obwohl es auf deren Territorium liegt. Sie verletzte damit mehrere Artikel des Indigenen-Gesetzes von 1993, nach dem jedes Entwicklungsprojekt auf indigenen Territorien der Zustimmung der jeweiligen Gemeinschaft bedarf. Die Umsiedlerfamilien wurden außerdem nunächst nur unzureichend entschädigt. Dies führte zu einem tiefen Bruch zwischen der chilenischen Regierung und den Mapuche-Organisationen und neben den bestehenden Konflikten mit Forstfirmen und Siedlern zu immer gewaltsameren Auseinandersetzungen. Die Mapuche-Aktivisten versuchten, die Transporte von Transformatoren für das Wasserkraftwerk zu verhindern. Dabei kam es im März 2000 zu Polizeiübergriffen, mehrere Dutzend Mapuche wurden verhaftet, einige Demonstranten wurden verletzt, Wohnhäuser verwüstet.

Bereits im August 1999 war im Haus Ancalafs, des Vorsitzenden der Coordinadora Malleco-Arauco, eine illegale Hausdurchsuchung durchgeführt worden, wobei 5 seiner Angehörigen verhaftet wurden. Die Carabineros gaben vor, die Durchsuchung im Auftrag eines Richters durchzuführen. Dieser verneinte jedoch, die Durchsuchung angeordnet zu haben.

Im April 2000 wurde das Haus Ancalafs in dessen Abwesenheit, aber in Anwesenheit seiner Frau und seiner 5 Kinder angegriffen, Fensterscheiben dabei eingeschlagen.

Am 6. Nov. 2002 wurde er dann auf einer Straße in Temuco gewaltsam von zivilen Carabinero-Einheiten verhaftet. Wie Zeugen angaben, hätten etwa acht Männer in Zivil den Anführer brutal mit Faustschlägen und Fußtritten überfallen. Wegen des brutalen Vorgehens und da sie sich nicht als Polizisten auswiesen, habe Ancalaf starken Widerstand geleistet.

Am 28. März 2003 führten etwa 20 bewaffnete Polizisten in Zivil im Wohnhaus Ancalafs in Anwesenheit seiner Ehefrau eine Hausdurchsuchung durch. Dabei wurde ein komplettes Inventarverzeichnis der Wohnung angelegt. Eine ähnliche Aktion gab es im Büro des Koordinierungskomittees (Coordinadora Arauco-Malleco) in Collipulli.

Im April 2002 scheiterte ein Versuch, eine führende Aktivistin der Widerstandsbwegung gegen den Ralco-Staudamm zu entführen. Ein Unbekannter versuchte, sie mit Gewalt in ein Auto zu zerren. Am Tag zuvor war ihr Computer mit gespeicherten Daten aus ihrer Wohnung gestohlen worden.

Wegen der Brandanschläge im Gebiet Malleco / Alto Bío-Bío, die einigen Organisationen der Mapuche zur Last gelegt wurden, wandte die chilenische Regierung das Antiterrorgesetz an. Bei einigen dieser Beschuldigungen konnte nachgewiesen werden, daß Angestellte von Forstunternehmen die Brände selbst gelegt hatten oder Mapuche dazu hatten anstiften wollen. Die Coordinadora Arauco-Malleco (CAM) wurde als terroristische Vereinigung eingestuft. Im Dezember 2002 nahm ein großes Polizeiaufgebot 16 Mitglieder dieser Organisation unter der Anklage terrorsitischer Handlungen und Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung fest, darunter die Vorsitzende und den Sprecher der CAM. Im Januar 2003 wurden im Rahmen des Terrorismusverdachts im ländlichen Raum der Provinz Malleco zahlreiche Hausdurchsuchungen durchgeführt und Verhaftungen vorgenommen.

Der Kampf um den Bau des Wasserkraftwerks Ralco endete im September 2003 mit einem Sieg der Betreiberfirma. Noch im Mai 2003 war zwar die Umweltstudie, die dem Projekt zugestimmt hatte, von einem Gericht für ungültig erklärt worden, aber der Firma gelang es schließlich, die letzten, noch ausharrenden Familien durch Geldzahlungen und Landzuweisungen umzustimmen.

Quellen:
Ralco, von Karim Palacios

http://chile.indymedia.org/

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