Das Museum von Leleque: Benetton hat sich nun auch die Geschichte der Mapuche zu Eigen gemacht

Autorin: Lesley Ray - 4. Juni 2004

Welchem Zweck dient ein Museum? Die Idealisten unter uns mögen die Hoffnung hegen, dass ein Museum in der Lage ist, durch seine Ausstellungsstücke jüngere Generationen über die Vergangenheit aufzuklären und sie so in die Lage zu versetzen, von der Geschichte zu lernen und ein Verständnis der Welt und ihres eigenen Platzes darin zu entwickeln. Dies mögen hohe Ideale sein, doch der wirkliche Zweck argentinischer Museen und des Museums von Leleque insbesondere ist ein anderer.

Museen wurden zunächst aus privaten Mitteln von den Reichen und der Kirche finanziert und profilierten sich Mitte des 19. Jahrhunderts als öffentliche Institutionen. Dies ist zufälligerweise gerade die Zeit, in der sich der argentinische Staat herausbildete. Der Historiker Graeme Davidson sagt dazu:

„Von seinen Ursprüngen im frühen 19. Jahrhundert bis zum heutigen Tag ist das Schicksal der Museen eng mit denen des Nationalstaates verbunden gewesen. Es sind hauptsächlich Nationen, die Museen gründen, finanzieren, unterstützen und ihnen manchmal Fesseln anlegen. Die Museen selbst sehen sich oft als Förderer nationaler Ambitionen, die der nationalen Identität und dem Nationalcharakter Ausdruck verleihen“.

Die Sieger schreiben die Bücher … und bauen die Museen

Es gibt eine große Anzahl von historischen Museen in Südargentinien. Jede einigermaßen große Stadt hat ein solches. Wie beeindruckend die Gebäude und wie gut die Ausstellungsstücke sind, mag sich von Stadt zu Stadt unterscheiden - das Museum von Viedma ist klein und schmuddelig und hat nur einen einzigen, einsamen Museumswärter, während das in Carmen de Patagones auf der anderen Seite des Flusses geräumig und ungemein sauber ist – sie alle aber scheinen demselben grundlegenden Muster oder, besser gesagt, demselben Weg durch die Jahrhunderte zu folgen:

  • Erstens: Handgearbeitete Objekte, die von indigenen Kulturen vor dem Kontakt mit europäischen Einwanderern geschaffen worden sind, wie zum Beispiel Waffen, Keramikarbeiten und Textilien;
  • Zweitens: Geräte, die mit der Ankunft des Militärs zu tun haben, Modelle von Festungen, Uniformen und Remington -Gewehre ;
  • Drittens: Fotos und Karten, die die Ankunft der Eisenbahn ankündigen;
  • Viertens: Denkwürdige Gegenstände aus den Wohnzimmern der zivilisierten Welt, Kleidungsstücke, Möbel, Grammophone.

Die Untertitel machen klar: Gewehre und Eisenbahnen beseitigten die „Wilden“, um der „Zivilisation“ durch Kolonialisierung den Weg zu ebnen. Dies ist die Version der Geschichte, wie sie von den edlen Patriarchen der argentinischen Nation, wie zum Beispiel Domingo Faustino Sarmiento, der von 1868-1874 Staatspräsident war und allgemein als Gründer des argentinischen Bildungssystem gilt, bevorzugt wird. Sarmiento äußerte sich wie folgt über die Mapuche:

Vor allen Dingen möchten wir die Wilden aus allen sozialen Fragen Amerikas verbannen, da wir für sie eine unüberwindliche Verachtung empfinden, der wir uns nicht entledigen können. Trotz der edlen Gewänder, in die Ercilla sie gehüllt hat, sind Colocolo, Lautaro und Caupolican für uns nichts weiter als verabscheuungswürdige Indianer, die wir hätten erhängen lassen …“

Sarmiento hat tatsächlich die Mapuche aus der argentinischen Geschichte entfernt, mit der Ausnahme , dass sie als Vertreter des „Chaos“ fungieren, das vor der Ordnung herrschte, welche die europäische Erleuchtung mit sich brachte. Ein weiterer solcher Patriarch war der Vater der argentinischen Wissenschaft, Perito Francisco Pascasio Moreno, der 1884 das Naturwissenschaftliche Museum in La Plata gründete. Zufälligerweise war dies das Jahr, in dem General Vintter im Neuquén - Dreieck in den letzten Phasen des „Wüstenkrieges“ Mapuche umbrachte, als die Armeen von General Rocas über die Pampas und Patagonien fluteten und Mapuche ermordeten und versklavten, um die fruchtbaren Ebenen vor der Ankunft europäischer Siedler menschenleer zu machen. Obwohl in den Geschichtsbüchern von der „Eroberung der Wüste“ gesprochen wird, handelte es sich nicht um eine Wüste, da dieses Gebiet reich an Fauna und Flora und menschlicher Zivilisation war. Auch war es keine Eroberung, sondern ein Massaker, in dem Tausende von Menschen getötet und Zehntausende gefangenen genommen wurden.

Während all dies passierte, blieb der ehrwürdige Perito Moreno nicht unbeschäftigt. Inakayal und Foyel waren zwei Lonkos (Führer/innen), deren Gemeinden im Gebiet Tecka lagen, also im Südwesten des Gebietes, das heute Chubut genannt wird. Im Oktober 1884 wurden sie während der Verhandlungen mit einem Militärführer, der eine Festung auf ihrem Land errichtet hatte, unter Anwendung von List gefangengenommen. Ihre Behausungen wurden zerstört und sie und ihre Familien wurden gezwungen , zum Gefängnis „El Tigre“ in Buenos Aires zu marschieren, während ihr Land von der Regierung an die British Tecka Land Company verkauft wurde.

Die Grabräuber

Anderthalb Jahre nach der Gefangennahme von Inakayal und Foyel erhielt Moreno die Erlaubnis, diesen beiden Männern und ihren Familien eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Inakayal starb am 24. September 1888 im Museum. Statt ihn zu beerdigen, wurden seine Knochen, sein Gehirn, sein Skalp und seine Toten maske der Sammlung des Museums einverleibt. Sein Skelett blieb bis 1940 ein Ausstellungsstück in der Anthropologischen Galerie des Museums. Danach wurde es ins Archiv gebracht . War Moreno der Vater der argentinischen Kultur oder der argentinischen Geier?

Am 19. April 1994, dem argentinischen „Tag der Indianer“, wurde die Urne, die Inakayals Gebeine enthielt, nach Tecka zurückgebracht, wo sie während einer Zeremonie in Anwesenheit seiner Nachfahren in einem Chenque (einer traditionellen Grabstätte) mit Steinen bedeckt wurde. Ein Archäologe des Museums von La Plata begleitete die Urne auf ihrer Reise und entschuldigte sich im Namen seiner Organisation öffentlich bei Inakayals Nachfahren.

Man hatte beabsichtigt, durch die „Eroberung“ einen totalen Sieg über die Mapuche zu erringen, der auch eine Zerstörung ihres Glaubens einschließen sollte. Um den Landraub abzuschließen, wurden noch die Friedhöfe der Mapuche im Namen des Christentums entweiht. Ein zeitgenössischer Schriftsteller und Politiker namens Estanislao Zeballos, der sich das Motto “ Wissenschaft durch Waffen“ zu eigen gemacht hatte, verteidigte dieses Vorgehen mit den folgenden Worten: „Die Barbarei ist zum Untergang verdammt und nicht einmal die Gebeine ihrer Toten werden in der Wüste zu finden sein.“

Der Lonko der Rankulche, Panguitruz Nuru, der Sohn des berühmten Painé Nuru, wurde als Kind gefangen genommen und Juan Manuel de Rosas übergeben, der ihn zu seinem Patenkind machte und ihn auf den Namen Mariano Rosas taufen ließ. Nach vielen Jahren in Gefangenschaft flüchtete er ins Zentrum der Mapuche-Gemeinschaft in Leuvocó, der er angehörte und diente von dort aus seinem Volk als Führer , bis er starb. Einige Jahre später, als die Streitkräfte der Dritten Division der Wüstenexpedition in das Territorium der Rankulche eindrangen, wurde die Grabstätte von Panguitruz entweiht und auf Befehl des Expeditionskommandanten wurde der Kopf des Toten entwendet und Estanislaos Zeballos zugesandt. Dieser gab ihn an Morenos Museum der Naturwissenschaften weiter, wo er 123 Jahre lang ausgestellt wurde.

Am 28. August 2000 wurden die sterblichen Überreste von Panguitruz Nuru schließlich seiner Dorfgemeinschaft in Leuvucó zurückgegeben, die dieses Ereignis ausgiebig feierte.

Bis zum heutigen Tag findet sich im Museum von Viedma der mumifizierte Körper eines Tehuelche in Fötusposition mit dem schriftlichen Kommentar: Bestattung eines Tehuelche von Idevi. Der Tote war mit zusammengerolltem Körper in eine Tierhaut gewickelt worden.

Burke und Hare waren berüchtigte Grabräuber, aber die Ausraubung von Mapuche-Gräbern, um Argentiniens Museen zu füllen, war weit verbreitet – man ließ ihnen keine Würde zukommen, nicht einmal nach ihrem Tode.

In letzter Zeit haben die Mapuche-Organisationen von Viedma und Carmen de Patagones gegen „Ausstellungsstücke“ dieser Art protestiert und sogar Überfälle durchgeführt, um ihre heiligen Utensilien und Kulturgegenstände zurückzuerobern. Ich habe mich nach einem solchen Überfall mit der Kuratorin des Museums von Carmen de Patagonia unterhalten, und sie teilte mir mit, dass die Gebrauchsgegenstände, die die Mapuche aus dem Museum entfernt hatten, nur Reproduktionen von Waffen der Tehuelche, wie zum Beispiel Boleadoras waren, und dass auch ein Poncho entwendet worden war, aber nichts Echtes. „Die Sachen mussten von der Polizei wiederbeschafft werden“, sagte sie.

In einer Diskussion darüber, wie die Elite eines jeden Landes nationale Identität künstlich fabriziert, äußerte sich Néstor Garcia Canclini wie folgt:

„Diese Referenzpersonen, an denen die nationale Identität festgemacht wurde, wurden folkloristisch in einem „traditionellen“ Stadium ihrer Entwicklung einbalsamiert und zur Essenz der nationalen Kultur erklärt, obwohl die Geschichte unweigerlich Veränderung mit sich bringt. Sie werden heute noch immer in Museen ausgestellt und durch Schulunterricht und Massenmedien weitergereicht. In religiösen und politischen Reden wird dogmatisch auf ihnen bestanden und wenn sie wanken, werden sie von Militärautoritäten verteidigt.“

Es gibt ein altes Mapuche - Sprichwort, das auf prägnantere Weise einen ähnlichen Gedanken ausdrückt:

„Ein Indianer, der die Grabstätte eines Weißen entweiht , wird ins Gefängnis gesteckt; Ein Weiße, der die Grabstätte eines Indianers/Indianerin entweiht , erhält einen Doktortitel.“

Die Privatisierung der Geschichte

Mittlerweile sind die großen, staatlichen Museen durch private, wie zum Beispiel das Benetton - Museum in Leleque verdrängt worden . Nach der Privatisierung ist die Geschichte der Region angeblich weiter in „guten Händen“.

Im Jahre 2000 weihte Benetton sein Anthropologisches, Archäologisches und Paläontologisches Museum in Leleque ein. Auf einer Tourismus-Webseite über Patagonien finden sich die folgenden Worte über das Museum:

„Das Museum ist das Resultat der Willenskraft und Leidenschaft von Pablo Korchenewski, der sein gesamtes Leben dem Sammeln von Lebenszeugnissen der Völker Patagoniens gewidmet hat, sowie von Carlo Benetton, der die natürliche Schönheit dieses Landes so liebt, dass er 1991 die Compañia de Tierras Sud Argentino 1] erwarb und sich so in die lange Tradition im Bereich der Zucht von Schafen, die Wolle von Spitzenqualität produzieren, einreihte, die seit dem 19 . Jahrhundert Teil der Geschichte Patagoniens ist.

Das Museum ermöglicht es dem Benetton-Konzern, sich gut zu fühlen, während er ein Lippenbekenntnis zu seinem berühmten anti-rassistischen Auftrag ablegt. Es ist also ein bewundernswertes Unternehmen, hinter dem angeblich vor allem Benettons Liebe zur Schönheit der Natur stehen soll. Nicht aber nach Angaben der Mapuche-Tehuelche-Organisation vom 11.Oktober: In einer Presseerklärung vom 12. Mai 2000 findet sich der folgende bitter-sarkastische Kommentar zu diesem Ereignis:

„Heute wurde das Anthropologische, Archäologische und Paläontologische Museum auf dem Benetton- Land im Gebiet Leleque eingeweiht. An der Einweihung nahmen der Gouverneur der Provinz Chubut, Beamte/innen, Vertreter/innen der römisch-katholischen Kirche, Millionäre/innen aus dem Ausland, Naturwissenschaftler/innen, Geschichtswissen-schaftlerinnen und Vertreter/innen der nationalen und internationalen Medien teil. Für solch ein “wichtiges Ereignis“, das eine Million US - Dollar gekostet hatte, war a lles bis ins Letzte durchorganisiert. Für solch ein Ereignis brauchten die Veranstalter natürlich indigene Gesichter als Alibi, und deshalb suchen sie sich Individuen aus, die den Mapuche angehören, die aber keine Würde haben und bereitwillig an dem ganzen Theater teilnehmen, das sie auf die Beine stellen.“

Es ist klar dokumentiert, dass Benetton das Land 1991 durch die Übernahme der Compañia de Tierras Sud Argentino erwarb. Viel undurchsichtiger ist jedoch , wie sich letztere Gesellschaft das Land im Jahre 1896 an ge eignet hatte. Die Gesellschaft behauptet, es habe sich um eine „Schenkung vom (argentinischen) Staat“ gehandelt, aber viele sind der Ansicht, dass es eine Gegenleistung für erhaltene Dienste war, nämlich für den Beitrag, den die Gesellschaft zur Finanzierung der „Eroberung der Wüste“ geleistet hatte.

Ob dies zutrifft oder nicht, spielt keine Rolle: Das Museum steht jetzt auf angestammtem Mapuche-Land. Es ist Bestandteil der Bemühungen, die Gegend für Tourismuszwecke aufzumöbeln, wozu auch die Wiedereröffnung der „La Trochita“-Eisenbahn gehört. Obwohl „La Trochita“ viele Jahre lang nicht genutzt wurde , spielte sie nach ihrer Einweihung im Jahre 1945 eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Region. Alle Materialien und Güter kamen auf dieser Eisenbahnlinie an und von den Bahnhöfen aus wurden Wolle, Tierhäute und Zuchttiere, die von der Südargentinischen Landgesellschaft produziert worden waren, nach Norden verschickt.

Ebenso wie heutzutage in der post-industriellen Landschaft Nordenglands stillgelegte Bergwerke als Ziele für Touristenführungen herhalten, kann nun auch Argentiniens kapitalistische Vergangenheit von den modernen Globaltouristen wiederbesucht werden. Natürlich hält „La Trochita“ am Leleque-Museum an, wo die Touristen ein Barbecue genießen können, nachdem sie die Räume voller Ausstellungsstücke besucht haben.

Es gibt vier Räume: Raum 1 enthält archäologische Funde aus der Geschichte der Ureinwohner , Raum 2 enthält Geräte , die sich mit dem euphemistisch als “Wüstenkrieg“ bezeichneten Ereignis verbinden, Räume 3 und 4 enthalten Gegenstände, die sich auf die Ankunft der Eisenbahn und die Zeit der Einwanderung aus Europa beziehen. Der/die aufmerksame Leser/in wird das oben erwähnte Format wiedererkennen; das Museum mag zwar privat sein, aber die Schablone ist die übliche.

Die Literatur des Museums weist auf die Ureinwohner, auf Indianer, Eingeborene und die „Tehuelche - Stämme“ hin, aber gesteht keinen von diesen genug Würde zu, um sie als „ Volk “ zu bezeichnen. Man stelle sich einmal vor, es würde von „italienischen Stämmen“ oder „walisischen Stämmen“ gesprochen! Aber wenn die Tehuelche den Europäern nicht beim Jagen geholfen hätten, als sie 1865 in Patagonien ankamen, wären diese angeblich „zivilisierteren“ Europäer Hungers gestorben, wie sie selbst bereitwillig zugeben. Die Tehuelche haben das Glück, wenigstens erwähnt zu werden, da sie als die offiziellen „Argentinischen Indianer“ gelten. ( Nach Enrique Amadeo Artayeta , der in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts Direktor des Patagonien-Museums war, handelt es sich hier um „eine bodenständige, ausschließlich argentinische Rasse“.) Soweit ich feststellen konnte, werden im Museum von Leleque die Puelche, Pewenche, Rankulche, Williche und andere regionale Identitäten, die zusammen die Mapuche-Nation bildeten und die Mitte des 19. Jahrhunderts die Pampas und Patagonien schon viele Jahrhunderte lang bewohnt hatten, nicht erwähnt.

Man mag sie zwar aus der offiziellen Geschichtsschreibung verbannt haben, aber ihre Nachkommen sind trotz der gründlichen Bemühungen argentinischer Generäle und Staatspolitiker/innen nicht ausgemerzt worden. Sie leben noch immer in den großen und kleinen Städten Argentiniens und in den vielen Gemeinschaften, die noch nicht einmal auf offiziellen Karten verzeichnet sind. Sie sind dabei, ihre Geschichte für sich zurückzugewinnen . Dies mag ein langwieriger Prozess sein, aber letztendlich wird es ihnen gelingen, das wiederzuerlangen, was ihnen rechtmäßig gehört.


Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Chambers  
Mapuche International Link 

Überarbeitet von Bärbel Rautenberg

Neueste Informationen und Aktivitäten

Die Benetton-Gruppe ist heute der größte Landbesitzer Argentiniens. Ihr gehören 900 000 Hektar Land im ressourcenreichen Patagonien. (Das ist flächenmäßig so viel wie 900 000 Fußballplätze zusammengenommen)

Sie besitzt damit 9% des am leichtesten zu kultivierenden Landes, d.h. eine Fläche, die 40 mal größer ist als Buenos Aires, die Hauptstadt Argentiniens und zweitgrößte Stadt Südamerikas.